Schwere Fehler im Endbericht des Bundesverkehrsministeriums zur Verkehrsentwicklung 2050 für den Eisenbahnverkehr auf dem Brennerkorridor

Dem vom Ministerium beauftragten Gutachter Kotzagiorgis hat der Spezialist Prof. Dr. Roland Feindor (TH Rosenheim) kaum glaubliche Rechenmanipulation vorgehalten, mit der bis zu 558 Züge pro Tag in den Raum gestellt werden.

Auf dieser Horrorbasis begründen nun DB Netze/ÖBB auch ihre laufende Planung als alternativlos.

Mit derartigem unglaublichen Material versuchen das Verkehrsministerium und die Planer die Öffentlichkeit zu täuschen und ihr ein sonst völlig unbegründbares Großprojekt aufzuzwingen.

Aus dem komprimierten Vorhalt von Prof. Dr. Feindor gegenüber dem Gutachter Kotzagiorgis sind die Manipulationen plausibel nachvollziehbar:

Von:

Prof. Dr. Roland Feindor TH Rosenheim

Guten Abend!

Herr Kotzagiorgis ich danke ihnen, dass Sie sich heute der Diskussion stellen.

Ich brauche ein paar Minuten um einige Kernaussagen ihrer Studie unter die Lupe zu nehmen und zwei Fragen zu stellen. Leider muss man sich da mit vielen, vielen konkreten Zahlen beschäftigen.
Ich hoffe, Sie langweilen sich nicht, sondern werden nachdenklich.

In Szenario 1 kommen Sie (S.28) bei einem erwarteten Wirtschaftswachstum von rund 1% jährlich auf eine jährliche Steigerung des Schienengüterverkehrs von durchschnittlich 2% von 2030 bis 2050 und sogar um 3,3% von 2017 bis 2050. Das erscheint mir schon mutig. In den letzten 10 Jahren von 2007 bis 2017 ist der Brenner-Güterverkehr gesamt jährlich um 0,22% und auf der Schiene um 0,37% gewachsen. Mit ihrer mutigen 2%-Annahme kommen Sie für das Jahr 2050 zu einer Gesamtzahl von 258 Zügen pro Tag. Dafür würde die Kapazität der Bestandsstrecke locker reichen.

In Szenario 4 nehmen Sie zusätzlichen reinen Güterverkehr über das Deutsche Eck und die italienischen Häfen dazu und kommen so auf 352 Züge pro Tag. Das bedeutet eine jährliche Steigerung von mehr als 4% über Jahrzehnte. Das erscheint mir schon sehr mutig.
In ihrer Studie weisen Sie aber (S. 3) auch aus, dass die optimierte Bestandsstrecke bei der üblichen Überlastquote von 110% eine Kapazität von zufällig auch genau 352 Zügen hat.

Damit reicht also die optimierte Bestandsstrecke sogar für Szenario 4 aus und es gibt keinen Grund für eine Neubaustrecke, wohl aber für einen massiven Ausbau der deutlich stärker belasteten Bestands­strecke nach Neubaustandards zum Schutz der Bewohner.

Dann kommt aber auf S.49 /50 der tiefe Griff in die Trickkiste: Sie gehen dort davon aus, dass die Brenner-Autobahn eine Maximalkapazität von 8.100 LKW/Tag hat und buchen einfach den darüber hinaus gehenden Güterverkehr komplett auf die Schiene um.
Auf S.50 sind das angeblich 5.300 LKW/Tag. Das ergibt zum Szenario 4 zusätzlich 158 Züge pro Tag und sicherheits­halber nehmen Sie nochmal zusätzlich 24 oder 48 Züge „pauschal“ dazu. Insgesamt kommen also durch diese Kunstgriffe zu den 352 Zügen noch 206 dazu. So werden in der Spitze 558 Züge pro Tag hergeleitet. Das wäre ein Wachstum von durchschnittlich fast 7% über Jahrzehnte!

Wenn das realistisch wäre bräuchte man tatsächlich eine Neubaustrecke, aber auch einen zweiten Brennertunnel.

Leider widerspricht dieser Griff in die Trickkiste ihren
eigenen Berechnungsgrundlagen.
In Szenario 4 geben Sie auf S.47 an, insgesamt 178,8 Mio t zu erwarten, davon 60,1 auf der Schiene. Bleiben also 118,7 Mio t auf der Autobahn. Bei den von ihnen genannten 16 t /LKW und 300 LKW-Tagen pro Jahr ergeben sich also 24.728 LKW / Tag auf der Autobahn. Das sind 16.628 LKW / Tag über der Kapazitätsgrenze von 8.100, die Sie nach ihrem Trick verlagern müssten.
16.628 verlagern oder 5.300? Das ist ein Unterschied um mehr als 11.000 LKW/Tag!

Nach ihren eigenen Regeln müssten Sie nicht „nur“ 206 Züge zusätzlich
„umbuchen“, sondern 646.
Dann wären Sie bei fast 1.000 Zügen pro Tag und dem dritten Brennertunnel!!

Meine Fragen an Sie, Herr Kotzagiorgis:

  1. Wie erklären Sie die massive, automatische Umbuchung der LKW auf die Schiene und die Widersprüche in der Berechnung?
  2. Können Sie irgendein Beispiel nennen, bei dem auf einer Eisenbahn-Neubaustrecke der Güterverkehr über Jahrzehnte um die in ihren Szenarien angenommenen 2 oder 4 oder gar 7% pro Jahr gewachsen ist?

Alle Zahlen stammen aus der Originalstudie https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Anlage/G/studie-brenner-zulauf.pdf?__blob=publicationFile